Time Smoking a Picture, 1980
SECAM, stumm, Farbe
Time Smoking a Picture zeigt, wie die Zeit ein Bild konstruiert und gleichzeitig wieder zerstört. Das Werk verläuft in der Kontinuität. Eine Kontinuität, die immobil erscheint, bei der aber der Übergang als ein wesentliches Phänomen zur Erkennung der vergehenden Zeit innerhalb dieses festen Rahmens erscheint. Thierry Kuntzel filmt den Sonnenuntergang in Echtzeit, eine reines und ganz verinnerlichtes Vorübergehen der Zeit, ganz nach dem Bild des Autors, der im Bild mit verlorenem Blick in Richtung Himmel eine Zigarette raucht. Diese vorübergehende Innerlichkeit verzehrt sich allmählich, so wie die Zigarette sich allmählich verzehrt. Wie zeigt er uns dieses so unvermeidliche Vorbeigehen der Zeit ? Mit Farbe und Raum. Der Bildschirm zeigt einen leeren Raum, leer abgesehen von einem Kamin im Hintergrund. Der Kamin ist selbst innerhalb eines anderen Bildschirms aufgenommen. Auf der linken Seite lassen zwei große Fenster Licht herein. Dieser Raum - dieser doppelte Raum verändert sich farblich. Auf der rechten Seite befindet sich im Vordergrund ein Projektor. Dieser Bildschirm im Bildschirm, verbunden mit einer vollkommenen Lichtdurchlässigkeit und einer seitlichen Beleuchtung in überwiegend goldbraunen Tönen vermittelt den eigentümlichen Eindruck zugleich eines Ektachroms von Georges Rousse und eines Gemäldes von Vermeer. Auf der linken Seite öffnet sich eine Tür. Ein Mann tritt ein. Er durchquert den Raum. Der Körper ist im Rahmen des Mittelpunktes nicht sichtbar. Er geht zu den Fenstern und verschwindet dann. Am Ende des Bandes kehrt sich das Bild um und endet mit einigen Versen von Raymond Roussel aus La Vue : "Mes yeux plongent dans un coin d'azur, ma pensée / Rêve, absente, perdue, indécise et forcée / D'aller vers le passé, car c'est l'exhalaison / Des sentiments vécus de toute une saison / Qui pour moi sort avec une puissance de la vue / Grâce à l'intensité subitement accrue / Du souvenir vivace et latent d'un été / Déjà mort, déjà loin de moi, vite emporté. (Meine Augen tauchen in ein Stück Himmelsblau, mein Denken / Traum, abwesend, verloren, unentschlossen und gezwungen / In die Vergangenheit zu gehen, weil dies Ausdünstung ist / erlebte Gefühle eine ganze Jahreszeit lang / Kommt für mich heraus mit der Kraft des Sehens / Dank einer plötzlich gewachsenen Intensität / der beharrlichen und verborgenen Erinnerungen eines Sommers / Schon tot, weit von mir, schnell fortgetragen.)" Von den Gefühlen, die Raymond Roussel während eines Sommers erlebt hat, ist es nur ein Schritt bis zur Wahrnehmung der Zeit durch Thierry Kuntzel in seinem Atelier Rue du Perche in Paris, wo sein Band gedreht worden ist. In einer Notiz mit Datum des 12. März 1980 schreibt Thierry Kuntzel: "Als ob das Bild - der Spiegel in dem ich gelebt habe, der imaginäre Raum, den ich durchquert habe - als ob das Bild sich schließlich umkehren würde [...], als würde die unendliche Zeit, das melancholische (manisch-depressive) Pulsieren anhalten, der vergangene Sommer (in einem verdichteten Bild, ich sitze am Fenster, während der Himmel blau wird), als wäre das Bild, der Spiegel, die Unendlichkeit aufgegeben: in Echtzeit sehen, wie Lichtspuren auf einer Wand verschwimmen [...]" 1.
Der Bildschirm im Bildschirm ist eine abgeschnittene Endloswiederholung. Der mittlere Rahmen verlängert durch seine Transparenz das Bild, löst sich aber von diesem durch eine Zwiespältigkeit der Ebenen, je nach den Beleuchtungen, die der eine oder andere bekommt. Eine Technik, die häufig in der Malerei eingesetzt wird, um eine Ebene im Verhältnis zu einer anderen in den Vordergrund zu stellen, wobei die Optik der Farben eingesetzt wird. Wenn er undurchsichtig wird, wird der Rahmen im Hintergrund wahrgenommen. Dieses Gefühl verstärkt sich, als die Person den Raum durchquert, und im Zentrum des Rahmens unsichtbar wird. Der Raum wird durchlöchert. Geteilt, um die Überlagerung der zeitlichen Schichten deutlich zu machen. Der innere wie der äußere Rahmen, in dem der innere enthalten ist, bewirken eine Trennung, die ebenso mit der Wahrnehmung zu tun hat, wie mit der gedanklichen Darstellung dieser Wahrnehmung. Die Vorführung des Werkes führt zu der Erkenntnis, daß die Wahrnehmung zuallererst ein Bild ist. Ein in der Dauer verankertes Bild. Time Smoking a Picture gehört auch zu der Tradition der Malerei, die darin besteht, innerhalb eines Werkes ein anderes Bild zu zeigen, einen Spiegel, ein Foto, von dem aus man zum eigentlichen Werk zurückkehren kann, von dem aus man sich die bildliche Darstellung und den Übergang von einem Bild zum anderen bewußt machen kann. Das Zitat erscheint auch in seiner eigentliche Form: Als Referenz zu einem Werk aus der Vergangenheit. In La Desserte blanche (1980) bezog sich Thierry Kuntzel auf
Matisse; mit Time Smoking a Picture verweist er auf Hogarth. Dieser hat in seiner Radierung Time Smoking a Picture (1761, Britisches Museum, London), hat die folgende Inschrift in griechischer Sprache hinterlassen: "Denn die Zeit ist keine große Künstlerin, aber sie schwächt alles, was sie berührt." In der Gravur raucht ein geflügelter Mann (Personifizierung der Zeit), und der Rauch überdeckt das Bild, während seine linke Hand eine Sense hält, die das Bild durchstößt. Die Zeit erscheint als Tod der Malerei. Hogarth bezog sich auf die weitverbreitete Idee, daß die Zeit Gemälde mit einer Patina versah, und sie somit verbesserte. Das Gegenteil ist der Fall: Die Zeit läßt die Darstellung verlöschen.
Dominique Garrigues
1 Thierry Kuntzel, "Time Smoking a Picture / Notes", Katalog Thierry Kuntzel, Paris, Edition du Jeu de Paume / Réunion des Musées Nationaux, 1993, S. 102.